David Bernet veröffentlicht im November mit „Democracy – Im Rausch der Daten“ einen Dokumentarfilm zur Europäischen Datenschutzreform. Bernet kommt als Referent zum DSK16 (27. & 28. April 2016) nach Berlin, sein Film wird dort auch ausgestrahlt. Wir unterhielten uns mit dem Regisseur über die Arbeit im EU-Parlament, Datenschutz im Fokus der Allgemeinheit und Herausforderungen der EU-DSGVO für Unternehmen.
Herr Bernet, „DEMOCRACY – IM RAUSCH DER DATEN” ist abgedreht und kommt im November in die Kinos, doch die Verhandlungen um die Datenschutz-Grundverordnung sind noch in vollem Gange. War vorab klar, dass es ein Dokumentarfilm mit offenem Ende werden würde?
David Bernet: Wir hatten ursprünglich vor, den Gesetzgebungsprozesses bis zum Ende zu verfolgen. Wir hofften allerdings auf ein Ergebnis im Frühling 2014. Also noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament und vor der Neuordnung der Kommission. Denn sowohl mit der Wahl wie mit einer neuen Kommission bestand das Risiko, dass wir im laufenden Verfahren Protagonisten verlieren und damit dramaturgisch ins Trudeln geraten könnten. Aber in der Welt des Dokumentarfilms kann man sich natürlich nicht auf Hoffnungen verlassen. Deshalb habe ich während den Dreharbeiten auch immer Ausschau nach Momenten gehalten, die uns ein gutes offenes Ende ermöglichen. Mit der Abstimmung des Ausschusses war dieser Moment plötzlich eingetreten. Dennoch haben wir den Prozess während den folgenden Monate bis weit über die Parlaments-Wahlen hinaus weiterverfolgt, falls doch noch eine finale Einigung zustande kommen sollte. Bis vor kurzem hatten wir in unseren Schnittfassungen am Ende des Films immer noch die provisorische Tafel stehen: „Das neue EU-Datenschutzgesetz tritt am 01.01.2018 in Kraft.“ Mittlerweile haben wir der Wirklichkeit nachgegeben und sie gelöscht.
Wäre eine Dokumentation über Datenschutz und Datenschützer vor 5 Jahren auf ähnliches öffentliches Interesse gestoßen wie heute?
David Bernet: Als ich vor 5 Jahren mit den Recherchen für diesen Film begann, war auch mir selbst die Bedeutung des Themas noch nicht klar. Wir wollten einen europäischen Gesetzgebungsprozess filmisch begleiten, und ich war auf der Suche nach einem Gesetzesprojekt der EU, das potentiell eine bedeutende Debatte entfachen könnte. Ich scannte also alle Gesetzesprojekte der EU-Kommission und beriet mich mit politischen Avantgardisten in Brüssel. Verständlicherweise gab mir meine Produktionsfirma mit auf den Weg, bitteschön ein Gesetz zu wählen, das auch „Bilder“ mit sich bringen würde. Klassischerweise denkt man dabei sofort an protestierende Bauern oder Fischer. Mir war aber bewusst, dass dies Kämpfe aus der „alten“ EU sind, die sich leider seit Jahrzehnten wiederholen. Die großen und noch weithin unbekannten gesetzgeberischen Herausforderungen hingegen – wir sprechen über das Jahr 2010 – müssten für die EU aus der digitalen Gesellschaft kommen. Erst durch die Gespräche mit vielen Kontaktpersonen in Brüssel verstand ich, dass hier großer Regelungsbedarf bestand. Eines Nachmittags saß ich dann bei einem Kabinettmitglied von Justiz-Kommissarin Viviane Reding und ließ mir erklären, warum die Gesetzes-Initiative zu Artikel 8 der EU-Grundrechte-Charta, also dem Datenschutzparagraphen, wohl für einigen Aufruhr sorgen würde. Damit hatte ich mein Thema gefunden.
Der abstrakte Daten-Markt hat konkrete Folgen für eines jeden Alltag
Wenn Sie es sich wünschen dürften: Wie lautet die Message, die der Zuschauer aus „DEMOCRACY – Im Rausch der Daten”, mitnimmt?
David Bernet: Meine Message als Dokumentarfilmer ist eigentlich immer dieselbe. Ich öffne den Zuschauern während 100 Minuten eine Welt, zu der sie keinen Zugang haben und die zu verstehen sie im Alltag keine Ansätze finden. Mein größter Wunsch ist, dass das Publikum den Film verlässt mit dem Gefühl, etwas wirklich Neues erfahren zu haben über die Gesellschaft, in der sie leben, über die moderne Welt, deren Komplexität uns manchmal davon abhält, genauer hinzusehen. In diesem Fall geht es um die Einsicht, wie sehr etwas so scheinbar abstraktes wie der Daten-Markt ganz konkrete Folgen für eines jeden Alltag hat. Aber genauso um einen Blick auf den Zustand der demokratischen Institutionen, von denen wir abhängen.
Was hat Sie bei Ihrem exklusiven Blick hinter die Kulissen von Europaparlament und –rat persönlich am meisten überrascht?
David Bernet: Ich war in erster Linie überrascht, davon, dass ich mit diesem Projekt in den EU-Institutionen überall auf offene Türen stieß. Augenscheinlich hatte es noch niemand vorher versucht. Kein Wunder, denn es war ein teures und ein riskantes Projekt. Und niemand konnte garantieren, dass die nötige filmische Konkretisierung eines derart abstrakten Prozesses wie ein Gesetzgebungsverfahren – und dann auch noch zu Datenschutz – gelingen könnte. Aber die zweite Antwort auf Ihre Frage ist: Was mich vor allem überrascht hatte, war die Sogwirkung, welche diese politische Plattform namens EU ausübt. Vollkommen im Widerspruch zum Klischee, bin ich im Europäischen Viertel in Brüssel auf sehr viele smarte, leidenschaftliche und dem europäischen Gedanken verpflichtete Menschen begegnet. Und zwar auf allen Seiten. Man bekommt unweigerlich den Eindruck, dass so etwas wie eine supranationale Loyalität jenseits der nationalen Herkunft in Europa möglich ist. Nicht nur intellektuell, sondern auch emotional. Wirklich entstehen wird so etwas natürlich erst können, wenn das avantgardistische Brüssel auch von einer noch zu schaffenden europäischen Öffentlichkeit reflektiert werden kann. Einschränkend zu meiner positiven, allgemein auf die EU-Institutionen gemünzten Einschätzung muss ich aber hinzufügen, dass die Mitgliedstaaten im Rat der EU offensichtlich das gegenteilige Konzept zu verfolgen scheinen.
Grundrecht auf Datenschutz könnte zu einem Luxusgut verkommen
Wie geht die Privatperson David Bernet mit ihren Daten im Netz um? Haben die Einblicke in die Materie Ihr Verhalten verändert?
David Bernet: Bei Freischaffenden vermischt sich natürlich Privates und Berufliches. Daher findet sich jedwede Maßnahme, die ich beruflich vornehme, auch im Privaten wieder. Ich setze mitunter gängige Verfahren zur relativen Vermeidung von Datenspuren ein. Aber ich bin kein digitaler Nerd. Ich empfinde keine große Befriedigung dabei, die neuesten Gadgets und Verschlüsselungsverfahren zu kennen, geschweige denn sie sachgerecht zu nutzen. Aber mir ist bewusst, dass das ein großer Nachteil ist. Gerade weil ich mich beruflich oft zwischen den Fronten bewege, sehne ich mich ein bisschen in die alten Zeiten zurück, wo man sich offen begegnen konnte, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, über welchen Umfang an vielleicht sogar intimen Informationen das jeweilige Gegenüber gerade verfügt. Die Reaktion des damaligen deutschen Innenministers Friedrich zu Beginn der Veröffentlichungen der Snowden-Dokumente, die Nutzer sollten sich selbst um den Schutz ihrer Daten kümmern, empfand ich als eine persönliche Ohrfeige. Ich habe sehr große Befürchtungen, dass das Grundrecht auf Datenschutz zu einem Luxusgut verkommt. Denen vorbehalten, die über die nötigen technischen Fähigkeiten oder finanziellen Ressourcen verfügen, sich ihre Privatsphäre selbst sichern zu können.
David Bernet: „Firmen mit Kompetenzen im Datenschutz könnten bald die Nase vorn haben”
Wenn Sie im April 2016 Ihren Film beim Datenschutzkongress zeigen, sollte die EU-Datenschutzgrundverordnung beschlossene Sache sein. Was werden die größten Herausforderungen der EU-DSGVO für die Datenschutzbeauftragten der Unternehmen sein?
David Bernet: Natürlich bin ich trotz meiner langjährigen Begleitung der Datenschutzreform noch immer Filmemacher und kein Datenschutz-Experte. Aber wenn die Reform einigermaßen so ausfällt, wie es aktuell den Anschein hat, dann wird meiner Meinung nach die größte Herausforderung für europäische Unternehmen sein, die Bestimmungen der Reform so umzusetzen, dass sie zugleich als Wettbewerbsvorteil im globalen Markt funktionieren können. Ich habe keine Ahnung wie man das macht. Aber ich glaube, dass uns das Thema Datenschutz nie mehr loswerden wird. Firmen, die sich darin Kompetenzen und einen guten Ruf erarbeiten, könnten vielleicht bald die Nase vorn haben.